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Glaubhaftigkeit und Präzision

Nimmt mich mein Pferd eigentlich ernst?

 

Nein, ich meine nicht den gegenseitigen Respekt im täglichen Umgang und schon gar keinen Dominanzgedanken. Diese Frage muss ich mir bei jeder meiner Paraden, mit denen ich etwas im Pferd bewirken möchte, stellen. Die Antwort von Baccaro heute: Nö. Das klingt jetzt dramatischer als es wirklich ist, denn im Großen und Ganzen sind Baccaro und ich ein eingespieltes Team, kennen uns seit 11 Jahren und wissen, wie der andere tickt. Um aber seine Bewegung präzise schulen zu können, brauche ich seine volle Aufmerksamkeit auf meine Paraden und die "richtige" Reaktion, also so wie ich sie gerne hätte, und nicht wie das Pony sie sich denkt. Was aber ist die "richtige", also von mir gewünschte Reaktion? Was möchte ich mit der Parade bewirken? Es gibt ja die unterschiedlichsten Paraden, unterteilt in Ausführung (Wer? Wie?) und Zweck (Warum?).

 

Heute habe ich mit Baccaro an den Paraden zum Halten gefeilt, als ich feststellen musste, dass er mich diesbezüglich nicht ernst nahm. Woran ich das gemerkt habe? Das Anhalten hat zu lange gedauert, der Rücken kam eher hinter als vor meinem Sitz in die Höhe und ich hatte ein paar Gramm zu viel Gewicht in der Hand. Was war da passiert? Statt meine Parade durch die Gelenke der Hinterhand hindurchzulassen, hat sich Baccaro mit nach hinten herausschiebenden Hinterbeinen gegen meine Parade gestemmt. Genau das gleiche Gefühl hatte ich bereits vorher in der Schrittversammlung, die zu zäh war, um Schulschritt zu werden. Also habe ich die Durchlässigkeit mit der Parade zum Halten überprüft und bekam Klarheit über das, was da gerade schief lief. Gefahr erkannt - Gefahr gebannt. Heutiges Trainingsthema wurde also die Parade und der nötige Ernst, der dieser bitte entgegenzubringen ist. Ein paar Mal war  Baccaro regelrecht überrascht, dass ich wirklich anhalten wollte (Halten und Stehenbleiben ist sowieso nicht seine Paradedisziplin und war noch vor wenigen Jahren schlicht nicht möglich.). Nachdem ich ihn von meiner Absicht überzeugt hatte, kam gleich die nächste Überraschung: Doch nicht anhalten, sondern durchstarten! Wenn die Parade bis in die Gelenke der Hinterhand hindurchgeht und selbige beugt, bringt ein treibender Impuls das gebeugte Hinterbein kurz vor dem Halt in die gebeugte Bewegung. Versammlung entsteht. Es ist ein ganz wunderbares Gefühl, wenn sich der Widerrist vor dem Sitz erhebt und man sozusagen in die Versammlung getragen wird. Und nun wurde es auch ein Schulschritt, fast auf der Stelle, der Kontakt zur Hand leicht, die Energie unter dem Hintern hoch, aber ruhig. Mehr brauche ich nicht, um den Rest des Tages glücklich zu grinsen.

 

Ich habe aber noch mehr geschenkt bekommen von meinem Superpony, denn mein zweites Trainingsthema für heute war Präzision. Das war aber nicht Baccaros, sondern mein Thema: meinen Körper so unter Kontrolle zu haben, dass ich ihn als präzises Werkzeug einsetzen kann. Der Sitz gilt in der Akademischen Reitkunst als Primärhilfe, die von den Sekundärhilfen (Hand und Schenkel/Gerte) unterstützt werden kann. Das Ziel ist jedoch, unabhängig von den Sekundärhilfen zu werden und das Pferd mit und aus dem Sitz zu dirigieren. So habe ich nach Erreichen des Trainingsziels #1 (Glaubhaftigkeit) das Trainingsziel #2 (Präzision) angesteuert und versucht, ausschließlich eindeutige Signale mit meinem Körper/Sitz zu geben. Ob sie jetzt wirklich eindeutig waren oder ich einfach nur ein über meine Unkoordiniertheit hinwegsehendes Superpony habe - oder es eine Kombination aus beidem war, kann ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. (Was dazu führt, dass ich mich auch weiterhin in Frage stelle und die Verbesserung meiner Körperkontrolle anstrebe, was sicherlich sinnvoll und wünschenswert ist.) Fakt ist, dass mein glückseliges Grinsen noch eine große Spur breiter wurde, als ich im Schulschritt sowohl das innere als auch das äußere Hinterbein ausschließlich von der Bewegung meiner Brustwirbelsäule (Stichwort statischer Sitz) ansprechen und unter den Schwerpunkt holen konnte. Nein, mehr brauche ich nicht zum Glücklichsein!

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Kommentare: 2
  • #1

    Ulrike (Samstag, 03 März 2018 16:40)

    Hallo Tanja,

    das ist ja ein spannender Aspekt der vorletzte Satz: das jeweilige Hinterbein von der Bewegung der Brustwirbelsäule unter den Schwerpunkt holen. Wie geschieht das?

    LG Ulrike

  • #2

    Tanja (Mittwoch, 04 April 2018 12:18)

    Hallo Ulrike,

    entschuldige die späte Antwort, ich hatte technische Probleme mit meiner webpage. Nun funktioniert hoffentlich alles wieder. Aber zum Thema: Mit Baccaro arbeite ich zurzeit daran, durch die statische Bewegung meines Oberkörpers in verschiedene Richtungen entweder das äußere oder das innere Hinterbein mehr zum Tragen zu veranlassen. Wenn ich also im Kruppeherein bemerke, dass das innere Hinterbein sich "entziehen" möchte, verlagere ich meine Oberkörperstatik mehr Richtung Schweif, also Richtung nach außen. Das innere Hinterbein folgt dann aufgrund Baccaros Bestreben, sich meinem Schwerpunkt wieder anzupassen, und aus dem Kruppeherein mit ausgefallenem inneren Hinterbein wird entweder ein Schulterherein oder ein Kruppeherein mit tragendem inneren Hinterbein, je nach Intensität der Statikveränderung. Das Ganze geht natürlich auch ohne vorhergehenden "Fehler", nämlich einfach wenn ich vom Kruppeherein in ein Schulterherein wechseln möchte oder vom Schulterherein in ein Kruppeherein. An dieser Art, die Hinterbeine über bzw. unter meinen Sitz zu arbeiten, feilen wir schon einige Jahre und die Feinabstimmung wird immer besser. :)

    Viele Grüße
    Tanja